Sozial gestrandet – vor anderen Haustüren?
Gerade im Winter, wenn unsere Füße von Fußbodenheizungen gewärmt werden, sind Notschlafstellen oft die Auffangbecken sozial Gestrandeter. Und U-Bahn-Stationen für manche der letzte Ausweg vor dem Erfrierungstod.
Wie gehen wir mit Obdachlosigkeit um?
Ein Satz steht mir dabei stets vor Augen. Er lautet: Wer Schutz braucht, muss ihn bekommen – nicht irgendwann, sondern im Moment der Not.
Und auch das, was mir die frühere Sprecherin des SKM-Kölns, Anke Collignon (jetzt Caritas), einmal schrieb, blieb haften: „Wenn man jemanden morgens um 5 Uhr weckt und bittet zu gehen, dann darf man nicht sagen: „Da vorne ist vielleicht eine Möglichkeit.“ Dann muss jemand da sein. Und zwar direkt.
Dabei sprechen wir nicht davon, einen Schüler in seinem Bett zu wecken, der dann später zur Schule muss. Auch ein Bäcker, eine Kita-Mitarbeiter, eine Busfahrerin und viele andere Menschen müssen oft sehr früh raus. Darum geht es nicht.
Wir sprechen von Menschen, die auf der Straße leben und eben auch dort schlafen.
Die KVB und Obdachlose in U-Bahnen
Als die KVB, die Kölner Verkehrsbetriebe, im Juni 2025 eine Pressemitteilung herausgibt mit der Überschrift „KVB verstärkt Anstrengungen für mehr Sicherheit und Sauberkeit an den Haltestellen“ schaue ich genau hin. Und verstehe sofort das Problem: Da sich Obdachlose und auch drogenabhängige Personen zunehmend in den unterirdischen Haltestellen und Anlagen der Stadtbahn aufhalten, ist das für die KVB nicht nur eine Gefährdung des Betriebs. Es ist auch so, dass Fahrgäste Alarm schlagen: Sie fühlen sich nicht mehr sicher.
Kann die KVB da wegschauen?
Das Gegenteil sei der Fall, versichert man mir in der Pressestelle auf Anfrage: Man sei sogar gezwungen, hierauf zu reagieren und Maßnahmen zu ergreifen. Dazu später noch mehr.

Denn was mir ebenfalls und nur kurze Zeit später auffällt, ist eine Stellungnahme der Grünen Jugend Köln. Und die fällt drastisch aus, zielt direkt auf die KVB: „Menschenverachtend“ seien die Vorschläge der KVB, unmenschlich und realitätsfremd.
So reagiert die Grüne Jugend Köln – ein Interview
Weshalb ich bei der Grünen Jugend anklopfe und um Antworten auf folgende Fragen bitte, die ich – verkürzt und so abgestimmt – hier wiedergebe. Beantwortet von den beiden Sprecherinnen:
Warum sind die Vorschläge „unmenschlich und realitätsfremd“?
Michelle Achour: „Die KVB-Maßnahmen setzen auf Verdrängung. Dieses Muster erleben wir immer wieder: statt Obdachlosigkeit nachhaltig zu bekämpfen, will man es nur nicht vor der eigenen Haustür (oder in der eigenen Haltestelle) sehen. Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, es gibt soziale Lösungen, mit denen wir sowohl unser Unwohlsein als auch das Leid von obdachlosen Menschen bekämpfen können.“
U.a. soll in den U-Bahnen Musik gespielt werden, ein Kältebus eingerichtet und Shuttle-Busse zu den Notunterkünften eingerichtet werden. Das klingt für Außenstehende erst mal nicht falsch …
Marika Esch: „Dass Musik in U-Bahnstationen nichts bringt, hat man schon in anderen Großstädten sehen können. Den Kältebus gab es zu Pandemiezeiten schon mal, da wurde er kaum angenommen. Und auch die Notunterkünfte werden nicht angenommen: Zu viel Gewalt und Diebstahlrisiko, man darf keine Tiere mitnehmen und nicht alle Habseligkeiten werden reingelassen. Wir halten die Maßnahmen deshalb für unsinnig.“
Welche Maßnahmen stehen bei Ihnen auf der Prioritätenliste?
Michelle: „Wir brauchen Drogenkonsumräume, die rund um die Uhr geöffnet und leicht erreichbar sind. Gleichzeitig müssen Obdachlosenunterkünfte umgestaltet werden. Es braucht mehr Privatsphäre für die Nutzer*innen, damit sie und ihre persönlichen Gegenstände sicher sind. Und wenn man schon die Haltestellen abgehen möchte, dann sollen das Sozialarbeiter*innen tun. Um langfristig aber wirklich etwas für die Betroffenen und alle anderen Kölner*innen zu verändern, braucht es dringend mehr Housing First Plätze. Diese sind übrigens auch günstiger als die Folgen von Obdachlosigkeit.“
So sieht die KVB das Problem
Nach einem langen Telefonat mit Gudrun Meyer, stv. Sprecherin der KVB, leuchtet mir ein: Dass die KVB Maßnahmen erwägt, auch konkrete Vorschläge macht, ist etwas, was proaktiv geschieht – aber nicht in deren originärer Verantwortung liegt. Vielmehr sind (endlich) GEMEINSAME Anstrengungen notwendig. Und ich frage mich immer mehr:
Was eigentlich machen die Kölner Politik und deren Verwaltung?
Sitzen nicht dort diejenigen, die für das Leben, das Wohnen, das gesellschaftliche Miteinander in unserer Stadt Verantwortung tragen, dafür gewählt sind, gezielte Lösungen zu finden?

Die Vorstandsvorsitzende der KVB, Stefanie Haaks, scheint in genau diese Richtung zu denken, wenn sie sagt: „Nur gemeinsam kann dieses gesamtgesellschaftliche Problem bewältigt werden.“
Was genau macht die KVB nun verstärkt?
Es muss – auch ohne gesamtgesellschaftliches Konzept – gehandelt werden. Deshalb führt die KVB, zusammen mit Polizei und Ordnungsamt, gemeinsame Streifen an neuralgischen Plätzen durch, wie dem Appellhofplatz, und natürlich an den großen „Sorgenplätzen“ Kölns, dem Neumarkt, dem Ebertplatz, zunehmend auch Rudolfplatz und Friesenplatz. Am Ebertplatz und am Neumarkt hat die KVB, lerne ich, zudem eigene Teams im Einsatz.
Und, frage ich, was bewirkt das?
Laut Gudrun Meyer zeigen die Maßnahmen Wirkung, aber: Sie lösen die bestehenden Probleme nicht, sorgen lediglich für einen Verdrängungseffekt. Insoweit dürften sich KVB und Grüne Jugend und viele Bürger, die diese Orte kennen, einig sein, denn es entstehen sogar neue Hotspots etwa am Josef-Haubricht-Hof, in Ehrenfeld an der Körnerstraße oder am Kartäuserhof in der Südstadt.
Der Sozialdienst SKM ist immer besorgter
Eine Situation, die insbesondere Experten wie die Mitarbeiter des SKM Kölns enorm besorgt – hier arbeiten Menschen, die sich mit den Sorgen und Nöten von Obdachlosen sehr gut auskennen. Und die mir auf Anfrage mitteilen:
„Menschen, die auf der Straße leben und/oder süchtig sind, haben ihre Geschichte. Sie brauchen nicht nur Regeln, sondern vor allem auch Hilfe. Wenn wir sie nur wegschicken, lösen wir kein Problem – wir verschieben es nur an eine andere Stelle. Im Zweifel vor andere Haustüren.“
Der SKM Köln belässt es jedoch nicht bei solchen Beschreibungen – sondern hat genau für diese Situationen Konzepte ausgearbeitet. „Wir begleiten Menschen in Not seit vielen Jahren, wir wissen: Sicherheit ja – aber bitte gemeinsam mit sozialer Unterstützung.“
Und dann kommt der Satz, den doch alle unterschreiben müssten:
„Wir teilen die Einschätzung, dass Politik und Verwaltung nun gefordert sind, konkrete Schritte zu gehen. Als Partner stehen wir bereit, diesen Prozess konstruktiv zu begleiten.“
Warum setzt man sich nicht an einen gemeinsamen Tisch?
Diese Frage stelle ich mir, die noch immer dem Thema Obdachlosigkeit auf der Spur ist, zunehmend. Ich sehe, dass sich viele Stellen bemühen. Und ich verstehe, dass soziale Probleme wie Wohnungslosigkeit nicht die lösen können, die dafür nicht die Experten sind.
So äußerte sich die Vorstandsvorsitzende der KVB, Stefanie Haaks, in einer Pressekonferenz am 19. August 2025 hierzu wie folgt: „Obdachlosen Menschen muss geholfen werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine tragende Rolle übernehmen können. Aber unsere Anlagen können nicht die Endstation von diesen Menschen sein und auch nicht das soziale Umfeld, in dem sie sich nachts bewegen.“

Was ich gelernt habe
Ich finde es gut, wenn ein Unternehmen wie die KVB sich vorstellen kann, verschiedene Maßnahmen zu ergreifen, zu denen auch Unterstützungsangebote zählen – zum Beispiel ein Shuttlebus zu den Notschlafstellen oder ein Wärmebus für die die kalte Jahreszeit. Aber eine KVB hat in 1. Linie den Verkehr zu regeln, nicht soziale Probleme.
Ich verstehe, dass die Grüne Jugend die heftigen sozialen Kürzungen, die den letzten Kölner Haushalt prägten, anprangern und fordern, diese zurückzunehmen. Und wenn der SKM ergänzend fordert, dass alle Hilfen „sozialarbeiterisch betreut sein müssen“, halte ich dies ebenfalls für sinnvoll. Denn sind sie das nicht, sind Gelder häufig weggeworfenes Geld – weil die Hilfen nicht ankommen.
Niedrigschwellige Hilfen, um Menschen in akuten Notlagen zu erreichen – Konzepte dafür haben alle die, die sich um das soziale Miteinander und die Unterstützung der Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen einer Stadt kümmern, längst in ihren Schubladen. Ob die klassischen großen Wohlfahrtsverbände wie auch die vielen kleineren Initiativen, Vereine oder auch Bürgerprojekte, die Köln prägen.
Mein Fazit:
Ob Jugendverband, Sozialdienst oder Verkehrsbetrieb – sie alle sehen sich in sozialer Verantwortung. Sie wollen unterstützen – vielleicht müssen sie es sogar, wenn einer Stadt wie Köln offenbar ein Gesamtkonzept fehlt.
Und diese große, für mich ungelöste Frage bleibt zum Schluss: Wer lädt zu einem solchen, wie ich ihn plakativ nennen möchte, „Runden Tisch sozialer Verantwortung“ ein, um Köln sicher(er) zu machen? Ich bin sicher, es gab/gibt Initiativen, aber aus meiner Sicht ziehen sie nicht durchgreifend.
Und der Winter kommt, jetzt ist schon Herbst …
Foto schwarz weiß, Stillleben: Jens Bußmann – Fotos Volksgarten: privat